Mittwoch, 30. Juni 2010

Wie im Monsun: Ein Vorgeschmack auf den Oktober

Madras.Der Monsun soll erst im Oktober die Süd-Ost-Küste Indiens erreichen. Das bedeutet manchmal zwei, drei Tage strömenden Regens. Kann ja nicht so schlimm sein, dachte ich. Dann gab es einen kleinen Vorgeschmack auf das nasse Ereignis.

Von einer französischem Firma gibt es ein Parfum "Un Jardin après la Mousson" (Ein Garten nach dem Monsun). Riesenhafte sattgrüne Blätter, pralle pinkfarbene Blüten und tausend Lianen, die von den Bäumen herabhängen - alles glänzend, noch tropfend und duftend nach dem erfrischenden Schauer. Dieses Bild kommt einem in den Sinn - wenn man an der Flasche des französischen Parfumherstellers schnuppert. Dass es in der Großstadt ganz anders sein würde, hatte ich ja schon geahnt.

Unser Rickshaw-Fahrer lässt es sich zumindest nicht anmerken, dass gleich die große Flut kommt, obwohl es schon verdächtig heftig regnet. Er bringt uns - wie er meint - zum gewünschten Ort. "Auditorium" steht auf dem Gebäudeschild mitten im Zentrum von Madras. Wir steigen arglos aus, springen über eine große Pfütze und dann - "unser" Auditorium ist das jedenfalls nicht. Dort soll ein Konzert stattfinden, zu dem wir eingeladen sind.

Von unserem dreirädriges Taxi ist derweil nichts mehr zu sehen. Wieder einmal reingefallen. Man hat uns irgendwo abgeladen, wo man vermutete, dass das der richtige Ort sei. Sicher seien sich die Rickshaw-Fahrer nie, insbesondere, wenn das Ziel nicht in der unmittelbaren Nachbarschaft liege, hatte man uns mehrfach gewarnt.

Etwas ratlos schauen wir uns um. Vor uns eine - mittlerweile - zum Bach angeschwollene Straße, hinter uns eine Menge Menschen, die sich unter eine Hochstraße zurückgezogen haben. Wir wählen die zweite Option und hocken uns neben die Leute auf eine niedrige Mauer, die den Fluten trotzt.

Eine andere Rickshaw anhalten oder warten bis der Regen aufhört? Bald merken wir, dass alle vorbeieilenden Dreiräder besetzt sind und es scheint nur eine Frage von wenigen Minuten, bis auch diese Unentwegten nicht mehr fahren können, weil ihre Motoren unter Wasser stehen. Also warten. Ewig kann es ja nicht dauern, so jedenfalls suggerieren uns die umher sitzenden Leute, die alle unglaublich entspannt wirken. Auch als der Regen immer mehr zunimmt und der Wasserpegel an unserer Mauer bedenklich steigt, scheint das hier niemanden aufzuregen. Langsam beginnen wir, die Situation spannend zu finden. Wie wird sich das wohl auflösen? Jedenfalls gibt es noch lange etwas zu erzählen.

Mit Duschhauben in voller Fahrt

Wir entschließen uns, ein wenig entlang der Mauer spazieren zu gehen. Da draußen nichts als Wasserstraßen! Jeder der vorbeikommt, ist durchnässt bis auf die Haut, auch die wenigen, die sich mit einem Schirm schützen wollen. Manche krempeln ihre Hosen hoch und durchwaten barfuß die Straße - obwohl man nicht wissen kann, was sich unter der braunen Wassermasse befindet. Heldenhaft treten Fahrradfahrer in die Pedale und erzeugen kleine Springbrunnen. Auch bei ihnen die nassen Kleider am Leibe klebend. Einige haben immerhin Duschhauben oder Tücher auf dem Kopf - ein eher symbolischer Versuch die Nässe fernzuhalten.

Eben kommt ein smart angezogener Geschäftsmann aus einem modernen Hochhaus mit englischer Firmenaufschrift. Lässig bewegt er sich in nagelneuen Lederschuhen durch das Wasser ohne eine Miene zu verziehen. Zwei elegante Damen in Saris - das Haar zum Zopf geflochten mit einem Jasminstrang geschmückt - schreiten wie auf dem Laufsteg durch die Flut. Kerzengerade, und die Seide der Saris scheint durch die Feuchtigkeit noch an Leuchtkraft gewonnen zu haben. Ein Mann mit verkrüppelten Beinen bewegt sich auf einer Skateboard-artigen Konstruktion, als Antrieb nur seine Hände, die wie Paddel immer wieder im Wasser verschwinden.

Nun weiß ich endlich, wieso in Madras so viele - manchmal protzig aussehende - Vierrad-angetriebene Autos mit hohen Reifen zu sehen sind. Mein Wunsch nach einem der knuddelig-kleinen Tata-Nanos - ein in Indien produziertes Auto, das sogar im Focus als sensationelles billigstes Autos der Welt vorgestellt wurden - erscheint im Angesicht der Monsunflut eher absurd. Schon längst wäre Wasser in den Auspuff geflossen und das rundliche "Spielzeugauto" nicht mehr fahrfähig.

Abenteuerliche Rückreise

Wir setzen uns zurück auf unserem Mauerplatz. Langsam wird es ein wenig langweilig und der Regen hat noch immer nicht aufgehört. Ob wir überhaupt noch nach Hause kommen, wenn es ab 19 Uhr so richtig dunkel wird? Nun versuchen wir doch, eine Autorickshaw zu ergattern. Ich stelle mich auf die Straße – barfuß - und winke jedem Minitaxi zu, dass ich sehe. Endlich hält ein junger Mann an und winkt uns hinein. Und dann beginnt eine abenteuerliche Fahrt durchs Wildwasser. Ohne Scheibenwischer, und wir fragen uns, wie sich der Fahrer eigentlich orientiert. Waren wir dank unseres Hochstraßendachs noch relativ trocken, so sind wir in wenigen Minuten durchnässt bis auf die Haut, obwohl unser Taxi ein Dach hat.

Und dann ist es plötzlich vorbei. Die Wassermassen fließen schneller ab, als dass sie gekommen sind. Der junge Fahrer kassiert einen abenteuerlich hohen Preis, aber wir zahlen ohne zu murren, denn wir sind froh, zu Hause angekommen zu sein.

Wir haben unsere Lektion gelernt. Wenn der Monsun im Oktober kommt, sind wir vorbereitet.

Text: Senya Müller, Foto: Greenpeace.at